Deutsche Rechtsprechung zum nationalen und internationalen syrischen Familienrecht

Deutsche Rechtsprechung zum nationalen und internationalen syrischen Familienrecht

Weist ein Sachverhalt Beziehungen zu mehreren Rechtsordnungen auf, so bestimmt das deutsche internationale Privatrecht (IPR), das Recht welchen Staates zur Anwendung kommt. Im internationalen Familienrecht kommt heute in erster Linie das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes der Parteien zur Anwendung. Es kann aber auch ausländisches Familienrecht berufen sein, wenn etwa zu beurteilen ist, ob eine Ehe, die im Ausland geschlossen wurde, wirksam ist. Desgleichen richtet sich etwa die Ehefähigkeit von Personen nach dem Recht ihrer Staatsangehörigkeit. Waren sie zum Zeitpunkt der Eheschließung Ausländer, kommt das Recht ihrer Staatsangehörigkeit (Heimatrecht) zur Anwendung. Im Folgenden sind deutsche Urteile mit Bezug zum syrischen Recht aufgelistet.    

Anerkennung einer in Syrien geschlossenen Ehe

BGH, Vorlagebeschluss an BVerfG vom 14. November 2018

Az.: XII ZB 292/16
Fundstelle: FamRZ 2019, 181-188
Verfahrensgang: vorgehend: OLG Bamberg, 12. Mai 2016, 2 UF 58/16 ; vorgehend: AG Aschaffenburg, 7. März 2016, Az.: 7 F 2013/15

Themen: Sorgerecht, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Anerkennung einer Minderjährigenehe nach religiösem Recht, ordre public, Vereinbarkeit des § 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mit dem Grundgesetz

Leitsatz:
Das Verfahren hinsichtlich der Anerkennung einer in Syrien nach syrischem Eheschließungsrecht wirksam geschlossene Ehe einer zum Eheschließungszeitpunkt 14-Jährigen mit einem Volljährigen, ist nach Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgesetzt. Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage eingeholt, ob eine Regelung, die unter Beteilung einer nach ausländischem Recht ehemündigen noch nicht 16 Jahre alten Minderjährigen geschlossene Ehe nach deutschem Recht ohne Einzelfallprüfung als Nichtehe qualifiziert, verfassungsmäßig ist.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 6. November 2018

AZ.: 3 A 247/17.A
Fundstelle: FamRZ 2019, 865-866
Verfahrensgang: VG Kassel, 10. November 2016, 5 K 825/16.KS.A

Themen: Anerkennung einer in Syrien geschlossenen Ehe zwecks Familienasyl, staatliche Mitwirkung bei Eheschließung, anwendbares Recht für die Gültigkeit der Eheschließung bei Flüchtlingen.

Leitsätze:
(1) In Syrien ist eine Mitwirkung des Staates für die Wirksamkeit der Eheschließung nicht erforderlich. Eheschließung an sich und Mitteilung bzw. Registrierung der Eheschließung bei Gericht oder einer anderen Behörde stellen getrennte Vorgänge dar.
(2) Für einen Anspruch auf Familienasyl kommen auch polygame Ehen in Betracht, ebenso Handschuhehen und religiös geschlossene Ehen, wenn und solange sie staatlich anerkannt sind.
(3) Die Gültigkeit der Eheschließung eines Flüchtlings richtet sich nicht nach dem deutschen Familienrecht, sondern grundsätzlich nach dem Recht des Herkunftslandes.


Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 28. September 2018

AZ.: 3 K 349.16 V
Fundstelle: FamRZ 2019, 279-283

Themen: Familiennachzug für Minderjährigenehe

Leitsätze:
(1) Die Bestimmung des § 30 I AufenthG dient dem verfassungsrechtlich durch Art. 6 I GG gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie. Grundvoraussetzung des Nachzugsanspruchs ist deshalb eine wirksame Ehe.
(2) Art. 13 III Nr. 1 EGBGB in der Fassung des Art. 2 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.2017 (BGBI I 2429) ist mit höherrangigem Recht vereinbar.
(3) Auch die „hinkende“ Ehe unterfällt grundsätzlich dem Schutzbereich des Art. 6 I GG, wenn die Ehe nach dem ausländischen Recht wirksam geschlossen ist. Allerdings verkörpern gerade die Ehemündigkeit der Verlobten und das Konsensualprinzip Kernmerkmale des Rechtsinstituts der Ehe.
(4) Es bleibt offen, ob eine unter Verstoß gegen die Institutsgarantie des Art. 6 I GG geschlossene Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit beider Ehegatten und deren Bekunden, an der Ehe festhalten zu wollen, in den Schutzbereich des Art. 6 I GG „hineinwachsen“ kann.
(5) Allein das Fehlen kollisionsrechtlicher Heilungsmöglichkeiten für „hinkende Ehen“ führt nicht zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung der Belange des Nachzugswilligen, wenn und soweit die Eheschließung mit Wirkung für den deutschen Rechtskreis wiederholt werden kann.


KG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2016

AZ.: 1 VA 7/15
Fundstelle: FamRZ 2016, 1585-1586

Themen: Anerkennung eines syrischen Urteils in Ehesachen, rückwirkende Bestätigung einer Zweitehe.

Leitsätze:
(1) § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG steht der Anerkennung eines ausländischen Urteils, das eine Ehe (hier: zwischen einer Deutschen und einem Syrer) rückwirkend auf einen Zeitpunkt bestätigt, zu dem der Ehemann noch mit einer anderen Frau verheiratet war, nicht entgegen, wenn die Erstehe noch vor dem Urteilserlass geschieden worden war.
(2) Dass die Zweitehe (hier: möglicherweise) nicht mehr wegen Bigamie aufgehoben werden kann, darf nach den konkreten Umständen nicht in einem offensichtlichen Widerspruch zu den Wertvorstellungen des deutschen Rechts stehen.


Anerkennung einer in Syrien durchgeführten Scheidung

OLG München, Beschluss vom 13. März 2018

Az.: 34 Wx 146/14
Fundstelle: FamRZ 2018, 817-822
Verfahrensgang: vorgehend EuGH, 1. Kammer, 20. Dezember 2017 Az.: C-372/16, vorgehend OLG München, 29. Juni 2016; vorgehend EuGH 1. Kammer, 12. Mai 2016, Az.: C-281/15; vorgehend OLG München 34. Zivilsenat, 2. Juni 2015, Az.: 34 Wx 146/14; vorgehend OLG München, 5. November 2013, Az.: 3465 a E - 1049/2013; anhängig BGH, XII ZB 158/18

Themen: Voraussetzung der Anerkennung einer Privatscheidung vor einem geistlichen Gerichtshof in Syrien, Anwendung der Rom III-VO auf Privatscheidungen, geschlechtsbedingter Zugang zur Ehescheidung nach ausländischem Recht.

Leitsätze:
(1) Für die Frage der Anerkennung einer in Syrien vorgenommenen Privatscheidung kommt nach der Neufassung des Art. 17 Abs. 1 EGBGB vom 23. Januar 2013 eine analoge Anwendung der Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (Rom III) nicht in Betracht.
(2) Die Regelungslücke ist durch Fortschreibung der bisherigen Rechtslage dadurch zu füllen, dass das Scheidungsstatut dem Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB folgt.
(3) Kommt deutsches Recht zur Anwendung, steht § 1564 BGB der Anerkennung einer Privatscheidung entgegen.


Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 7. April 1998

Az.: 1Z BR 16/98
Fundstelle: NJW-RR 1998, 1538-1540

Themen: Anerkennung ausländischer Ehescheidung, Anerkennung einer Privatscheidung, Anwendung des Art. 7 FamRÄndG auf Privatscheidungen

Leitsätze:
(1) Der von einem syrischen Scharia-Gericht beurkundete Ehevertrag, der eine Vereinbarung über den gemeinsamen Wohnort, über die Morgengabe und das anzuwendende Recht enthält, genügt der für die Rechtswahlerklärung vorgeschriebenen Form des Art. 14 Abs. 4 S. 2 EGBGB.
(2) Dem deutschen ordre public steht die Anerkennung der einvernehmlichen (privaten) Scheidung nach syrischem Recht nicht entgegen, wenn beide Ehegatten (auch) syrische Staatsangehörige sind und die Ehefrau mit der Scheidung einverstanden ist und die Ehescheidung auch nach deutschem Recht möglich gewesen wäre.


Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 13. Januar 1994

Az.: 3Z BR 66/93
Fundstelle: NJW-RR 1994, 771-772

Themen: Anerkennung ausländischer Ehescheidung, Anerkennung einer Privatscheidung, Anwendung des Art. 7 FamRÄndG auf Privatscheidungen

Leitsätze:
(1) Allein die Tatsache, dass zwei Syrer, von denen einer auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, in Syrien die Ehe geschlossen haben, besagt überhaupt nichts darüber, ob sie von einem späteren Zeitpunkt an das syrische Recht als Ehewirkungsstatut wählen wollten.
(2) Eine Anerkennung der (nicht einvernehmlichen) Privatscheidung nach deutschem Recht kommt nicht in Betracht. Sie wäre nur möglich, wenn die Voraussetzungen des nach Art.17 EGBGB maßgebenden Rechts für die Scheidung eingehalten waren. Daher kann eine Privatscheidung nicht anerkannt werden, wenn deutsches Recht anzuwenden ist, weil das deutsche Recht nur eine gerichtliche Ehescheidung kennt.


Anwendung des materiellen syrischen Scheidungsrechts in deutschen Gerichten

BGH, Urteil vom 11. Oktober 2006

Az.: XII ZR 79/04
Fundstelle: BGHZ 169, 240-255
Verfahrensgang: vorgehend OLG Karlsruhe Senat für Familiensachen, 23. April 2004, Az.: 5 UF 205/03; vorgehend AG Singen, 29. Juli 2003, Az.: 4 F 30/03

Themen: syrisches Ehescheidungsrecht, religiöses Recht, syrisches Familienrecht, Unscheidbarkeit der Ehe nach kanonischem Recht, anzuwendendes Scheidungsrecht bei Asylbewerbern, ordre public, katholisches Ostkirchenrecht

Leitsatz:
Die Entscheidung des OLG Karlsruhe, wonach die Unscheidbarkeit einer Ehe zwischen syrischen Staatsbürgern nach dem in Syrien geltenden Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium nicht gegen den deutschen ordre public verstößt, wurde aufgehoben. Der BGH entschied, dass die Unscheidbarkeit der Ehe nach kirchlichem Recht im konkreten Fall einer unheilbar zerrütteten Ehe einen Verstoß gegen den deutschen ordre public darstellt.


AG Paderborn, Urteil vom 7. April 1988

Az.: 9 F 523/86
Fundstelle: IPRax 1989, 248

Themen: Scheidungsrecht, syrisches Recht, Unterhaltspflicht

Leitsatz: Ist die Ehe syrischer Staatsangehöriger in Syrien geschieden und die Ehescheidung in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt worden, so richtet sich die nacheheliche Unterhaltspflicht nach dem vor diesem ausländischen Gericht angewandten Scheidungsrecht.


LG Mönchengladbach, Urteil vom 13. Januar 1971

Az.: 3 R 224/69
Fundstelle: NJW 1971, 1526

Themen: Anwendung des syrischen Scheidungsstatuts, Scheidung durch Verstoßung durch den Ehemann

Leitsatz: Trotz nach syrischem Recht rechtswirksamer unwiderruflicher Scheidung durch Verstoßung ist das Rechtsschutzinteresse für eine vor einem deutschen Gericht erhobene Scheidungsklage gegeben.


Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 19. März 1970

Az.: BReg. 1 b Z 70/69
Fundstelle: BayObLGZ 1970, 77

Themen: Zur Anwendung des Rechts der jakobitischen Kirche Syriens, Sorgerecht

Leitsatz: Lässt sich das auf das Verkehrsrecht nach dem Heimatrecht des Vaters anzuwendende religiöse Recht nicht eindeutig ermitteln, so ist auf den übereinstimmenden Inhalt mehrerer verwandter religiöser Rechtsordnungen zurückzugreifen.


Brautgabe / Rechtswahl

BGH, Urteil vom 14. Oktober 1998

Az.: XII ZR 66/97
Fundstelle: NJW 1999, 574-575
Verfahrensgang: vorgehend OLG Bamberg, 13. Februar 1997, Az.: 2 UF 257/96; vorgehend AG Obernburg, 30. August 1996, Az.: F 224/96

Themen: syrisches Familienrecht, Brautgabe, Unterhaltsrecht

Leitsätze:
(1) Die Rechtsnatur einer Brautgabevereinbarung und somit die Frage, ob ein abstraktes Schuldversprechen i.S. von § 780 BGB vorliegt, ist nach dem Wortlaut der Vereinbarung zu beurteilen.
(2) Ein solches Versprechen liegt dann nicht vor, wenn in der Vereinbarung ein bestimmter Schuldgrund (Voraussetzungen) für die Leistung angegeben ist.


Namensrecht

OLG Hamm Beschluss vom 7. April 1995

Az.: 15 W 3/95
Fundstelle: FamRZ 1995, 1602

Themen: syrisches und internationales Namensrecht

Leitsätze:
(1) Zur Bestimmung des Familiennamens eines ehelichen Kindes eines aus Syrien stammenden kurdischen Volkszugehörigen yezidischer Glaubenszugehörigkeit, der in islamischer Tradition mehrere Eigennamen, nämlich im Anschluss an seinen höchstpersönlichen Namen den Namen des Vaters und danach den Namen seines Großvaters führt, ist bei Anwendbarkeit deutschen Namensrechtes zu prüfen, welchem der Namensbestandteile am ehesten die Funktion eines – deutschen – Familiennamens zukommt.
(2) Es kommt nur dem Eigennamen des Vaters die Funktion eines deutschen Familiennamens zu, denn nur dieser wird an Kindeskinder weitergegeben. Der Eigenname des Vaters ist daher zum Familiennamen des Kindes zu bestimmen.


Sorgerecht / Ordre public

Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 12. September 2006

Az.: 2 BvR 2216/05
Fundstelle: BVerfGK 9, 155-160

Themen: Sorgerecht, ordre public, Umgangsrecht, Kindeswohl, Haager Minderjährigenschutzabkommen vom 5. Oktober 1961

Leitsatz: Da das syrische Recht die Personensorge – von der tatsächlichen Pflege für Kleinkinder abgesehen – indes ausschließlich dem Vater zuschreibt und eine Überprüfung dieser Regelung unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls nicht zulässt, führt seine Anwendung zu einem Ergebnis, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.


AG Einbeck, Urteil vom 8. November 1990

Az.: 1 F 12/88
Fundstelle: BeckRS 9998, 77653

Themen: Sorgerecht, Kindeswohl, ordre public, Sorgerechtsentscheidung über nach Syrien entführtes Kind

Leitsätze:
(1) Das syrische Personalstatutsgesetz enthält eine ausführliche Regelung der Sorgerechtsbestimmungen, durch die für das Kindeswohl mehr als ausreichend Sorge getragen wird.
(2) Die Tatsache, dass die Kinder aufgrund ihres Geschlechts in Syrien eine andere Behandlung durch ihre Umwelt erfahren als in Deutschland, reicht für die Annahme der Beeinträchtigung des Kindeswohls nicht aus. Die Sorgerechtsregelung des syrischen Personalstatutsgesetzes verstößt nicht gegen den bundesdeutschen ordre public.


LG Hannover, Beschluss vom 21. April 1972

Az.: 9 T 198/71
Fundstelle: NJW 1972, 1625

Themen: Elterliche Gewalt, IPR, Sorgerecht, Haager Minderjährigenschutzabkommen vom 5. Oktober 1961, ordre public, islamische Glaubensgemeinschaft

Leitsatz: Die Vorschriften des syrischen Rechts, nach denen die elterliche Gewalt für Kind er aus der Ehe einer deutschen Frau mit einem syrischen Mann im Falle einer Scheidung der Ehe dem Vater zusteht, sind mit Art. 3 Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren und daher nach dem deutschen internationalen Privatrecht nicht anzuwenden.

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