Kommentar zum Eherecht aller Afghanen (außer Schiiten)
Das Familienrecht in Afghanistan ist im Gegensatz zur Mehrheit der islamischen Länder nicht interreligiös gespalten. Nur in Bezug auf schiitische Afghanen gibt es Sonderregelungen durch das Gesetz über das Personalstatut schiitischer Afghanen von 2009. Somit unterliegen alle sunnitischen Afghanen und Afghanen anderer Religionszugehörigkeiten den Regelungen des afghanischen Zivilgesetzbuches [qânûn-e madanî], Gesetzblatt Nr. 353 v. 5.1.1977, idF der Änderungsgesetze (im Folgenden: ZGB). Das afghanische Eherecht ist in Art. 60-134 afghanisches ZGB geregelt.
Brautwerbung und Verlöbnis
Die Ehe ist ein zivilrechtlicher Vertrag, der das eheliche Zusammenleben zwischen Mann und Frau legitimiert und so eine Familiengründung ermöglicht. Ihr gehen in der Regel die Brautwerbung und das Verlöbnis als wichtige vorbereitende Schritte voraus.
Unter Brautwerbung versteht man die stillschweigende oder ausdrückliche Anbahnung einer Eheschließung durch einen Mann. Die Frau, um die geworben wird, muss ehefähig sein und es dürfen zwischen den potentiellen Ehegatten keine Eheverbote bestehen. Die Werbung um eine Frau, die sich in der Wartezeit befindet, ist verboten, unabhängig davon, ob sie sich in der Wartezeit nach einer widerruflichen oder unwiderruflichen Verstoßungsscheidung oder nach dem Tod ihres Ehemannes befindet.
Der Eheschließung kann ein Verlöbnis vorangehen. Das ZGB regelt das Verlöbnis in drei Artikeln. Art. 64 ZGB definiert das Verlöbnis als ,,ein Eheversprechen, von dem jede Partei zurücktreten kann“ und betont damit, dass aus einem Verlöbnis keine Verpflichtung zur Eheschließung entsteht. Außerdem dürfen zwischen den Verlobten keine Eheverbote bestehen. Grundsätzlich soll die Verlobungszeit den künftigen Ehegatten die Möglichkeit geben, sich (besser) kennenzulernen. Empirische Studien zeigen jedoch, dass dem Verlöbnis in der Praxis in weiten Teilen der Bevölkerung eine sehr große Bedeutung beigemessen wird. Zum einen sind vor allem in ländlichen Gebieten arrangierte Verlöbnisse von Minderjährigen und Zwangsverlöbnisse üblich und sie werden gewohnheitsrechtlich auch als bindend erachtet. Die Auswahl des Ehegatten obliegt oftmals den Eltern, während das künftige Ehepaar sich traditionell in dessen Entscheidung eher fügt, als dass es aktiv mitentscheidet. Den Kindern, insbesondere der Tochter, die Wahl des geeigneten Ehegatten zu überlassen, ist unüblich. Zum anderen wird beim Verlöbnis (während der begleitenden Festivitäten) auch über wichtige finanzielle Aspekte der Ehe verhandelt: den Brautpreis (paschtu: walwar), die Brautgabe (mahr) und den Austausch von Geschenken.
Beide Verlobten können vom Verlöbnis zurücktreten. Aufgrund der Bedeutung des Verlöbnisses in der afghanischen Gesellschaft wird der Rücktritt vom Verlöbnis aber oftmals als Verletzung der Familienehre angesehen. Wird das Verlöbnis aufgelöst, bestimmt Art. 65 ZGB die Folgen für die bereits ausgetauschten Geschenke. Tritt der/die Beschenkte vom Verlöbnis zurück, ist der Schenker berechtigt, diese zurückzufordern. Ist das Geschenk nicht mehr vorhanden, ist der Wert zu ersetzen. Tritt der Schenker vom Verlöbnis zurück oder ist das Geschenk verbraucht oder untergegangen, findet kein Ausgleich statt. Für gewöhnlich ist es unüblich, dass Geschenke zurückgegeben werden oder sogar auf Rückgabe der Geschenke geklagt wird, da die Erhebung einer Klage nicht als ehrenhaft gilt.