Eherecht aller Afghanen (außer Schiiten)
Die folgenden Bestimmungen finden grundsätzlich auf Afghanen aller Religionszugehörigkeiten Anwendung, mit Ausnahme schiitischer Muslime, die dem schiitischen Personalstatutsgesetz v. 2009 unterliegen.
Zivilgesetzbuch v. 1977 (ZGB)1
Kapitel 2: Personen
Teil 1: Natürliche Personen
Titel 6: Die Ehe (Art. 60–89)
Art. 60
Die Ehe ist ein Vertrag, der die Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau zum Zwecke der Familiengründung legitimiert und Rechte und Pflichten der Parteien erzeugt.
Art. 61
(1) Die Eheschließung wird in einer amtlichen Eheschließungsurkunde durch die zuständige Behörde in dreifacher Ausführung ausgefertigt und registriert. Das Original wird bei der zuständigen Behörde aufbewahrt und jede der Parteien erhält eine Ausfertigung. Die Eheschließung wird nach ihrer Registrierung in den dafür vorgesehenen Registerbüchern der in Artikel 46 dieses Gesetzes genannten Personenstandsbehörde mitgeteilt.
(2) Ist die Eintragung der Eheschließung auf diesem Wege nicht möglich, ist das sonst übliche Verfahren bei der Registrierung von amtlichen Urkunden zu befolgen.
Art. 62
Das Verlöbnis mit einer Frau ist zulässig, sofern sie unverheiratet ist und sich nicht in einer Wartezeit [nach der Eheauflösung von einem anderen Mann] befindet.
Art. 63
Die implizierte oder ausdrückliche Werbung um eine Frau, die sich in ihrer Wartezeit nach einer widerruflichen oder unwiderruflichen Scheidung befindet, ist unzulässig; die ausdrückliche Werbung um eine Frau, die sich in der Wartezeit nach dem Tod [des Ehemannes] befindet, ist unzulässig.
Art. 64
Ein Verlöbnis ist ein Eheversprechen, von dem jede Partei zurücktreten kann.
Art. 65
Hat einer der Verlobten den Anderen beschenkt, kann der Schenker im Falle des Rücktritts des anderen Verlobten und bei Vorhandensein des Geschenkes dieses oder dessen Tageswert zurückfordern. Ist der Schenker zurückgetreten oder ist das Geschenk untergegangen oder verbraucht worden, kann die Rückgabe unter keinen Umständen verlangt werden.
Art. 66
Eine Ehe wird durch ausdrückliches Angebot und ausdrückliche Annahme, die Unverzüglichkeit und Dauerhaftigkeit implizieren, ohne Befristung im Rahmen einer einzigen Zusammenkunft geschlossen.
Art. 67
Eine Eheschließung, die einer nicht erfüllbaren Bedingung unterliegt oder zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt geschlossen werden soll, ist nicht zulässig [wörtl.: kann nicht geschlossen werden].
Art. 68
Wird bei der Eheschließung eine Bedingung vereinbart, die gegen das Gesetz oder die Zwecke der Ehe verstößt, gilt die Eheschließung als gültig und die Bedingung als nichtig.
Art. 69
In einer Tauschehe [wenn zwei Familien Bräute austauschen] sind die Frauen kein Ersatz füreinander. Für jede der Frauen ist eine eigenständige Brautgabe zu leisten.
Art. 70
Die Ehemündigkeit tritt beim Mann mit der Vollendung des 18. und bei der Frau mit der Vollendung des 16. Lebensjahres ein.
Art. 71
(1) Hat die Frau das in Artikel 70 bestimmte Mindestalter nicht erreicht, kann ihre Ehe nur durch ihren geschäftsfähigen Vater oder durch das zuständige Gericht geschlossen werden.
(2) Die Eheschließung einer Frau, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist unter keinen Umständen zulässig.
Art. 72
(1) Die Beauftragung eines Vertreters zur Eheschließung ist zulässig.
(2) Der Vertreter kann mit der Vertretenen nicht die Ehe schließen, es sei denn, die erteilte Vollmacht lässt dies ausdrücklich zu.
Art. 73
Dem Vertreter ist es nicht gestattet, ohne entsprechende Befugnisse oder Einwilligung des/r Vertretenen, die Vertretung auf einen Dritten zu übertragen.
Art. 74
Der Vertreter kann keine Handlung durchführen, die außerhalb seiner Vollmacht liegt. Eine Handlung, die außerhalb der erteilten Vollmacht liegt, entspricht einer unbefugten Handlung, deren Wirksamkeit von der Genehmigung des/r Vertretenen abhängt.
Art. 75
Der Vertreter ist nicht dazu verpflichtet, die Braut an den Bräutigam zu übergeben oder die Brautgabe zu leisten, es sei denn, er hat sich zur Leistung der Brautgabe verpflichtet. In diesem Fall kann der Vertreter die von ihm geleistete Brautgabe nicht vom Bräutigam herausverlangen, es sei denn, er hat sich mit dessen Zustimmung dazu verpflichtet.
Art. 76
Haben die Eheschließenden aufgrund von Verwandtschaft, religiöser Bestimmungen oder durch Vollmacht denselben Vormund, kann dieser für die Parteien Angebot und Annahme erklären, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen der Eheschließung eingehalten sind.
Art. 77
Für das wirksame Zustandekommen einer Ehe und ihre Durchsetzung sind die folgenden Voraussetzungen zu erfüllen:
- 1 – die gültige Abgabe von Angebot und Annahme durch die Vertragsparteien oder deren Vormünder und Vertreter,
- 2 – die Anwesenheit zweier geschäftsfähiger Zeugen;
- 3 – das Nichtvorhandensein von dauerhaften oder temporären Eheverboten zwischen Braut und Bräutigam.
Art. 78
Der Richter gilt als Vormund derjenigen Personen, die keinen Vormund haben.
Art. 79
Personen, die nach Artikel 78 unter richterlicher Vormundschaft stehen, dürfen nicht vom Richter geheiratet werden noch kann er sie mit seinen Aszendenten oder Deszendenten verheiraten.
Art. 80
Heiratet eine geistig reife und ehemündige Frau ohne die Einwilligung ihres Vormunds, ist die Eheschließung wirksam und durchsetzbar.
Art. 81
Die Ehe mit den eigenen Aszendenten und Deszendenten, den Deszendenten der Eltern und den Deszendenten ersten Grades der Großeltern ist dauerhaft verboten.
Art. 82
Die Ehe mit den Ehefrauen der eigenen Aszendenten oder den Ehefrauen der eigenen Deszendenten ist dauerhaft verboten. Ebenso ist die Ehe mit den Aszendenten der eigenen Ehefrau absolut und mit ihren Deszendenten – sofern die Ehe vollzogen wurde – verboten.
Art. 83
Die Parteien eines außerehelichen Geschlechtsverkehrs dürfen weder mit den Aszendenten noch mit den Deszendenten des/r Anderen die Ehe schließen. Die Eheschließung zwischen den Aszendenten oder den Deszendenten dieser Parteien ist von diesem Verbot ausgenommen.
Art. 84
Das Eheverbot wegen Milchverwandtschaft wirkt bis auf die folgenden Ausnahmen wie das Eheverbot wegen Blutsverwandtschaft [d.h. mit den folgenden Personen ist eine Ehe erlaubt]:
- 1 – die Schwester des Milchsohnes
- 2 – die Mutter der Milchschwester oder des Milchbruders
- 3 – die Großmutter des Milchkindes
- 4 – die Schwester des Milchbruders.
Art. 85
In folgenden Fällen besteht ein temporäres Eheverbot [für den Mann]:
- 1 – die gleichzeitige Ehe mit zwei Frauen, zwischen denen es ein Eheverbot gäbe, wäre eine von ihnen ein Mann.
- 2 – die Ehe mit einer bereits von ihm drei Mal geschiedenen Frau, solange sie keinen anderen Mann geheiratet hat.
- 3 – die Ehe mit einer verheirateten oder einer sich in der Wartezeit aus einer anderen Ehe befindenden Frau.
- 4 – die Ehe mit einer Frau, deren Mann einen Verwünschungseid erklärt hat, solange sie ihn nicht der Lüge bezichtigt hat.
- 5 – die Ehe mit einer Frau, die nicht einer Buchreligion angehört.
Art. 86
Polygynie ist unter folgenden Bedingungen gestattet:
- 1 – Es gibt keine Bedenken hinsichtlich der Einhaltung des Gleichbehandlungsgebots unter den Ehefrauen.
- 2 – Der Mann verfügt über die finanziellen Mittel, um in angemessener Weise für den Lebensunterhalt der Frauen, wie deren Nahrung, Kleidung, Unterkunft und medizinische Versorgung aufzukommen.
- 3 – Bei Vorhandensein legitimer Interessen, wie etwa der Unfruchtbarkeit der ersten Frau oder ihrer Erkrankung an einer schwer zu behandelnden Krankheit.
Art. 87
Eine Frau, deren Ehemann entgegen den Voraussetzungen des Artikels 86 geheiratet hat, kann gemäß Artikel 183 gerichtlich eine Scheidung aufgrund von Schädigung beantragen.
Art. 88
Die Ehefrau kann bei der Eheschließung die Bedingung festlegen, dass ihr die Befugnis zur Scheidung übertragen wird, wenn der Ehemann entgegen dem Artikel 86 dieses Gesetzes eine andere Frau heiratet. Diese Bedingung ist dann wirksam, wenn sie in der Eheschließungsurkunde vermerkt ist.
Art. 89
Hat ein Mann bei einer Eheschließung mit mehr als einer Frau nach den Bestimmungen des Artikels 86 dieses Gesetzes seinen ehelichen Stand verschwiegen und die ausdrückliche Zustimmung der neuen Ehefrau nicht eingeholt, kann diese, wenn sie mit der Fortführung der Ehe nicht einverstanden ist, gemäß Artikel 183 gerichtlich eine Scheidung aufgrund von Schädigung beantragen.
1Zivilgesetzbuch [qânûn-e madanî], Gesetzblatt Nr. 353 v. 5.1.1977, idF der Änderungsgesetze.